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Ein unangemessen hohes Willensvollstreckerhonorar schädigt Quotenvermächtnisnehmer bloss mittelbar (Reflexschaden)

Ein unangemessen hohes Willensvollstreckerhonorar schädigt Quotenvermächtnisnehmer bloss mittelbar (Reflexschaden)

Kommentierung
Nachlassverwaltung

Ein unangemessen hohes Willensvollstreckerhonorar schädigt Quotenvermächtnisnehmer bloss mittelbar (Reflexschaden)

5A_363/2017

1. System der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit des Willensvollstreckers

Die primäre Haftungsgrundlage einer zivilrechtlichen Verantwortlichkeit des Willensvollstreckers ist nicht vertraglich, sondern vertragsähnlich.1 Willensvollstrecker haften gegenüber Erben, Vermächtnisnehmern und Nachlassgläubigern auf der Grundlage von Art. 518 Abs. 2 ZGB i.V.m. Art. 398 Abs. 2 OR analog und i.V.m. Art. 97 Abs. 1 OR.2 

Damit ein Willensvollstrecker ersatzpflichtig gemacht werden kann, müssen folgende vier Voraussetzungen erfüllt sein:

a. Pflichtwidrigkeit: Der Willensvollstrecker kann seinen gesetzlichen Leistungsauftrag nicht oder nicht mehr gehörig erfüllen.

b. Schaden: Ein Erbe, Vermächtnisnehmer oder Nachlassgläubiger erleidet einen unmittelbaren Schaden.

c. Kausalzusammenhang: Es gibt einen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtwidrigkeit und dem Schaden.

d. Verschulden: Der Willensvollstrecker kann seine Unschuld nicht nachweisen (Exkulpation).

2. Frage der Aktivlegitimation von Vermächtnisnehmern ist umstritten

Ob Vermächtnisnehmer aktiv zur Geltendmachung einer zivilrechtlichen Verantwortlichkeitsklage gegen Willensvollstrecker legitimiert sind, ist in der Lehre umstritten.3  In seinem Urteil vom 22. Februar 2018 setzte sich das Bundesgericht mit den einzelnen Lehrmeinungen auseinander und präzisierte, dass dem BGE 101 II 47, E. 1, wonach die Verantwortlichkeitsklage gegen den Willensvollstrecker «im Prinzip» («en principe») den Erben und anderen vom Erblasser begünstigten Personen zustehe, im Hinblick auf die Frage der Aktivlegitimation eines Vermächtnisnehmers keine präjudizielle Wirkung zukomme. 4 

Das Bundesgericht hat die Frage der Aktivlegitimation von Vermächtnisnehmern noch nicht abschliessend beurteilt. Indem es sich in seinem Entscheid mit den einzelnen Voraussetzungen einer zivilrechtlichen Verantwortlichkeit des Willensvollstreckers auseinandergesetzt und deren einzelne Tatbestandselemente im Rahmen der zu beurteilenden Klage einer Quotenvermächtnisnehmerin geprüft hat, liess das Bundesgericht m.E. aber den Schluss zu, dass es in Anlehnung an die neuere Lehre5 die Aktivlegitimation von Vermächtnisnehmern nicht apriori ausschliesst.6  

Nach der vorliegend vertretenen Auffassung ist der Willensvollstrecker mit den Vermächtnisnehmern durch ein gesetzliches Schuldverhältnis verbunden.7 Es kommt dadurch zustande, dass das Gesetz den Willensvollstrecker ausdrücklich berechtigt und verpflichtet, die Vermächtnisse auszurichten (Art. 518 Abs. 2 ZGB). Diese Pflicht kann er ohne Mitwirkung der Erben erfüllen; ja er muss sie selbst gegen deren ausdrücklichen Willen durchsetzen.8 Deshalb ist es nur konsequent, wenn Vermächtnisnehmer Willensvollstrecker zivilrechtlich zur Verantwortung ziehen können, sofern diese ihre Pflicht in schuldhafter Weise verletzen und dadurch die Vermächtnisnehmer schädigen. Deshalb ist die Aktivlegitimation der Vermächtnisnehmer dem Grundsatz nach zu bejahen.

Will man die Frage der Aktivlegitimation im Einklang mit der neueren Lehre zulassen, ist damit – wie der vorliegende Fall beispielhaft zeigt – noch nicht viel gewonnen: Denn die zivilrechtliche Verantwortlichkeitsklage eines Vermächtnisnehmers gegen einen Willensvollstrecker scheitert in der Praxis regelmässig am Erfordernis eines ersatzfähigen Schadens.

3. Willensvollstrecker schädigen Vermächtnisnehmer regelmässig nur indirekt (Reflexschaden)

Ob ein Vermächtnisnehmer den Willensvollstrecker zivilrechtlich zur Verantwortung ziehen und ersatzpflichtig machen kann, hängt also davon ab, ob es sich um einen unmittelbaren Schaden oder um einen Reflexschaden handelt. Grundsätzlich kann nur Schadenersatz fordern, wer in seinen eigenen Rechtsgütern unmittelbar beeinträchtigt worden ist (direkter Schaden).9

Wird eine Person indirekt, also bloss mittelbar geschädigt, weil sie in einer besonderen Beziehung zum direkt Geschädigten steht, muss sie diesen Schaden grundsätzlich selber tragen (casum sentit dominus).10 Es handelt sich um einen nicht ersatzfähigen Reflexschaden. Die indirekt geschädigte Person muss sich zur Deckung ihres Schadens deshalb an den Direktgeschädigten halten, mit dem sie regelmässig durch ein Vertrags- oder ein anderes unmittelbares Rechtsverhältnis (wie bspw. eine Vermächtnisforderung) verbunden ist. 

Schädigt der Willensvollstrecker das Nachlassvermögen, so schädigt er in erster Linie die Erben als dinglich berechtigte Gesamteigentümer, denen der Nachlass als Ganzes mit dem Tod des Erblassers kraft Gesetzes zufällt (Art. 560 i.V.m. Art. 602 Abs. 1 und 2 ZGB).11  Demgegenüber sind Vermächtnisnehmer nur (aber immerhin) obligatorisch berechtigt: Das Vermächtnis verpflichtet ausschliesslich die Erben, und zwar einzeln oder gemeinsam (Art. 562 Abs. 1 ZGB). Gleichwohl werden Willensvollstrecker durch Art. 518 Abs. 2 ZGB gesetzlich verpflichtet, die Vermächtnisse aus dem Nachlassvermögen auszurichten.12 Entsprechend können Vermächtnisnehmer ihren Anspruch wahlweise indirekt gegenüber dem Willensvollstrecker oder direkt gegenüber den beschwerten Erben geltend machen.13 

Das Bundesgericht stellte fest, dass ein Willensvollstrecker, der das Nachlassvermögen schädigt, damit die Erben direkt und die Vermächtnisnehmer höchstens indirekt schädige.14 Bei dem von der Quotenvermächtnisnehmerin vorliegend behaupteten Schaden handelte es sich also um einen nicht ersatzfähigen Reflexschaden.15  

Solange einem Vermächtnisnehmer die Vermächtnisklage zur Verfügung steht, bleibt mit anderen Worten kein Raum für eine zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Willensvollstreckers.16 Denn mit der Vermächtnisklage hätte die Quotenvermächtnisnehmerin ihren mutmasslichen Schaden nach Massgabe von Art. 562 Abs. 3 ZGB direkt beim Alleinerben geltend machen können.17 Wäre sie mit ihrer Klage durchgedrungen, hätte der direktgeschädigte Alleinerbe anschliessend gegen den Willensvollstrecker im Umfang seines Haftungsinteresses regressieren können.

4. Unangemessen hohes Willensvollstreckerhonorar als ersatzfähiger Schaden?

Das allgemeine Schadenersatzrecht ist auch auf die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Willensvollstreckers anwendbar. Gemäss der geltenden Differenztheorie entspricht der Schaden der Differenz zwischen dem aktuellen Vermögen und dem Vermögen vor dem Eintritt des schädigenden Ereignisses. Voraussetzung ist, dass es sich um eine unfreiwillige Vermögensverminderung handelt.18 Sie kann aus einer Verminderung der Aktiven, einer Vermehrung der Passiven oder aus entgangenem Gewinn bestehen.19 

Das Bundesgericht musste sich mangels Vorliegens eines ersatzfähigen direkten Schadens der Quotenvermächtnisnehmerin nicht mit der Frage befassen, ob das Willensvollstreckerhonorar von CHF 600 000 (inkl. Honorar der Bank und MwSt.) bei einem Nettonachlassvermögen von CHF 54 Mio. angemessen war oder nicht (Art. 517 Abs. 3 ZGB). Es bestätigte jedoch seine Praxis, wonach es sich beim Honorar des Willensvollstreckers um eine Erbgangsschuld und damit um eine Nachlassschuld handelt.20

Der Alleinerbe hatte am 7. Januar 1998 die Schlussrechnung des Willensvollstreckers genehmigt, worin dieser unter anderem sein Honorar ausgewiesen hat. Der Willensvollstrecker konnte den Alleinerben im haftpflichtrechtlichen Sinne also gar nicht geschädigt haben, indem er ein unangemessen hohes Honorar in Rechnung gestellt bzw. aus dem Nachlassvermögen bezogen hat, weil die Verminderung des teilbaren Nachlassvermögens aufgrund der Genehmigung keine unfreiwillige mehr war. Somit ist im vorliegenden Fall auch mit Bezug auf den Alleinerben die Haftungsvoraussetzung des Schadens nicht erfüllt. Hätte der Alleinerbe das Honorar nicht genehmigt, obschon es der Willensvollstrecker bereits im Vorfeld der Erbteilung bezogen hat, hätte er es im Umfang seiner Unangemessenheit nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung gemäss Art. 62 ff. OR zurückfordern können.

Zu prüfen bleibt die interessante Frage, ob ein Erbe von einem Quotenvermächtnisnehmer nach Massgabe von Art. 562 Abs. 3 ZGB auf Schadenersatz belangt werden kann, wenn dieser eine unangemessen hohe Vergütung des Willensvollstreckers (Art. 517 Abs. 3 ZGB) genehmigt und damit möglicherweise schuldhaft das Nettonachlassvermögen schmälert, das als Basis zur Berechnung eines Quotenvermächtnisses dient.
 

  • 1. Vgl. Marc’Antonio Iten, in: Willi Fischer/Thierry Luterbacher (Hrsg), Haftpflichtkommentar, Zürich/St.Gallen 2016, Art. 518 ZGB N 7.
  • 2. Marc’Antonio Iten (Fn. 1), Art. 518 ZGB N 32.
  • 3. Urteil des Bundesgerichts 5A_363/2017 vom 22. Februar 2018 E. 5.2.3.
  • 4. Urteil des Bundesgerichts 5A_363/2017 vom 22. Februar 2018 E. 5.2.4.
  • 5. Vgl. für eine Übersicht Marc’Antonio Iten, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Willensvollstreckers, Zürich 2012, Fn. 684 m.w.H.
  • 6. Urteil des Bundesgerichts 5A_363/2017 vom 22. Februar 2018 E. 5.2.5.
  • 7. Marc’Antonio Iten (Fn. 1), Art. 518 ZGB N 91; derselbe (Fn. 5), N 260 f.
  • 8. Marc’Antonio Iten (Fn. 5), N 259 m.w.H.
  • 9. Roland Brehm, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht (Berner Kommentar), Das Obligationenrecht, Die Entstehung durch unerlaubte Handlungen, Art. 41 - 61 OR, 4. Aufl., Bern 2013, Art. 41 OR N 17 ff.
  • 10. Roland Brehm (Fn. 9), Art. 41 OR N 20 m.w.H.
  • 11. Urteil des Bundesgerichts 5A_363/2017 vom 22. Februar 2018 E. 5.2.6.
  • 12. Marc’Antonio Iten (Fn. 5), N 259 m.w.H.
  • 13. Marc’Antonio Iten (Fn. 5), Zürich 2012, Fn. 683 m.w.H.
  • 14. Urteil des Bundesgerichts 5A_363/2017 vom 22. Februar 2018 E. 5.2.6.
  • 15. Marc’Antonio Iten, Vom Schwarzen Peter im Erbrecht: Haftet der Nachlass, die überlebende Ehegattin, der Willensvollstrecker oder haften die Erben?, TREX 2017, S. 19.
  • 16. Marc’Antonio Iten (Fn. 1), Art. 518 ZGB N 92.
  • 17. Urteil des Bundesgerichts 5A_363/2017 vom 22. Februar 2018 E. 5.2.6.
  • 18. Willi Fischer, in: Willi Fischer/Thierry Luterbacher (Hrsg), Haftpflichtkommentar, Zürich/St.Gallen 2016, Art. 41 OR N 17.
  • 19. BGE 127 III 543, E. 2.b = Pra 90 (2001), Nr. 194.
  • 20. Urteil des Bundesgerichts 5A_363/2017 vom 22. Februar 2018 E. 5.2.2. 
iusNet ER 15.10.2018