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Prima-facie-Auslegung

Nichteröffnung von zwei handschriftlichen Dokumenten

Rechtsprechung
Nachlassabwicklung
Grundsätzlich sind alle der Einlieferungspflicht unterliegenden Verfügungen – auch jene, die von der Behörde als formungültig oder nichtig erachtet werden – zu eröffnen. Die Behörde hat die Pflicht zu prüfen, ob alle eingelieferten Dokumente nach ihrem Inhalt als eröffnungsfähige Willenserklärungen des Erblassers von Todes wegen erscheinen und wer daraus prima facie als Berechtigter hervorgeht. Im Zweifel ist die Eröffnung vorzunehmen, damit die Beteiligten ihre Rechte vor dem ordentlichen Richter geltend machen können. Vorliegend sah das Erbschaftsamt die streitigen Dokumente als Verfügungen von Todes wegen an. Dass es sie in vorläufiger Auslegung nicht als Testamente qualifizierte, hätte keinen Einfluss auf deren Eröffnung haben dürfen.
iusNet ErbR 24.10.2024

Der nachlässige Testator und die unerwünschte Ersatzerbin

Kommentierung
Nachlassabwicklung

Cour de Justice, Urteil DAS/154/2024 vom 3. Juli 2024

A und B fochten vor Obergericht die Einsetzung der Erbschaftsverwaltung sowie die vorläufige Auslegung des Testaments im Nachlass von E an. E war bei Erstellung des Testaments mit F verheiratet gewesen und hatte F als Alleinerbin und deren Tochter als Ersatzerbin eingesetzt. Bei seinem Tod war er von F geschieden und unterdessen mit A verheiratet, mit der er die gemeinsame Tochter B hatte. Das Testament hatte er wohl anzupassen vergessen. Die Justice de Paix erachtete in ihrer vorläufigen Auslegung F als Erbin im Nachlass von E. A und B beantragten vor Obergericht die Feststellung ihrer Alleinerbenstellung. Der Beitrag nimmt dieses Urteil zum Anlass, die Problematik vergessener Testamente zu beleuchten.
Désirée von Grünigen
iusNet ErbR 28.10.2024

Scheidung, Wiederverheiratung und ein «vergessenes» Testament

Rechtsprechung
Nachlassabwicklung
Der Erblasser hatte mit Testament von 1961 seine damalige Ehefrau F. als Alleinerbin und deren Tochter als Ersatzerbin eingesetzt. Zudem hinterliess er als gesetzliche Erben seine dritte Ehefrau und eine gemeinsame Tochter. Da Fragen des materiellen Rechts im Streitfall dem ordentlichen Zivilgericht vorbehalten sind, konnten die Justice de Paix (Eröffnungsbehörde) und folglich auch die Cour de Justice auf Berufung der gesetzlichen Erben nicht darüber befinden, ob das Testament hinfällig sei und wem letztlich Erbenstellung zukommt. Es bleibt bei der Feststellung, dass zwar die Ex-Ehefrau gemäss Art. 120 Abs. 3 ZGB die Begünstigung aus dem Testament verloren habe; prima facie sei aber davon auszugehen, dass aufgrund der Ersatzverfügung die Erbschaft der Tochter der Ex-Ehefrau anfallen soll. Zu Recht wurde die Erbschaftsverwaltung angeordnet, da die Identität der Tochter der Ex-Ehefrau unbekannt ist. Trotz zweier erfolgloser Erbenrufe wäre es verfrüht, diese aufzuheben, zumal weder die Einjahresfrist abgelaufen ist noch feststeht, ob die Veröffentlichung im kantonalen Amtsblatt der zu beseitigenden Unsicherheit angemessen war.
iusNet ErbR 19.08.2024

Der Testamentswiderruf in der Eröffnungspraxis

Kommentierung
Nachlassabwicklung

BGer, Urteil 5A_221/2023 vom 5. Juli 2023

Zwar handelt es sich beim Widerruf eines Testaments um eine auch im Testamentseröffnungsverfahren durchaus relevante Tatsache. Indessen muss der Widerruf im Rahmen einer Prima-facie-Beurteilung feststellbar sein. Die Vernichtung durch eine Drittperson ohne schriftliche Ermächtigung oder einen anderswie dokumentierten Widerrufswillen der Erblasserin kann im Eröffnungsverfahren nicht als gültiger Widerruf im Sinn von Art. 510 Abs. 1 ZGB qualifiziert werden. Die Frage, ob auch eine delegierte Vernichtung einer letztwilligen Verfügung einen gültigen Widerruf darstellen kann, wurde letztlich offengelassen. Die Vernichtung durch eine Drittperson ist daher wo immer möglich zu vermeiden. Ein animus revocandi kann auch in einem Widerrufstestament zum Ausdruck gebracht werden. Sollte es trotzdem zur Vernichtung der letztwilligen Verfügung durch eine Drittperson kommen (müssen), bedarf es sorgfältiger und unmittelbarer Dokumentation.
Marius Brem
iusNet ErbR 18.12.2023

Beachtlichkeit eines angeblichen Widerrufs eines öffentlichen Testaments im Eröffnungsverfahren

Rechtsprechung
Nachlassabwicklung
Die Vorinstanz erwog, dass ein Widerruf eines Testaments im Rahmen der Prima-facie-Auslegung durch die Eröffnungsbehörde grundsätzlich beachtlich sei. Werde eine Kopie zur Eröffnung eingereicht und die Zerstörung des Originals mit Widerrufswillen der Erblasserin behauptet, habe die Eröffnungsbehörde unpräjudiziell zu prüfen, ob von einer gültigen Vernichtung i.S.v. Art. 510 Abs. 1 ZGB auszugehen sei. Die Kopie bleibe so lange beachtlich, als nicht nachgewiesen sei, dass der Verlust des Originals auf einer gültigen willentlichen Vernichtung beruht. Vorliegend erscheine eine Vernichtung durch eine Drittperson ohne schriftliche Ermächtigung oder einen anderen Nachweis seitens der Erblasserin in rechtlicher Hinsicht derart heikel, dass im Rahmen der Testamentseröffnung kein gültiger Widerruf anzunehmen sei. Das Bundesgericht weist die Beschwerde gegen diesen Entscheid ab, da der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen vermochte, inwiefern diese Rechtsauffassung willkürlich sein soll.
iusNet ErbR 28.08.2023